Museo Castello San Materno
11. Mai - 7. September 2025
„Die willensstarke Keuschheit Ihres Strichs, die melancholische Glut Ihrer Farbe und die strenge Ordnung Ihres Bildes haben einen Charme, der zwar nur langsam in Auge und Verstand dringt, dafür aber ganz sicher bis zum Herzen gelangt.“
Brief von Joachim Gasquet an Fèlix Vallotton, 5. April 1905
Anlässlich seines 100. Todestages widmet das Museo Castello San Materno – Fondazione per la cultura Kurt e Barbara Alten, Ascona, dem schweizerisch-französischen Maler und Grafiker Félix Vallotton (1865–1925) eine umfassende Sonderausstellung. Diese findet im Rahmen von 2025 | Année Vallotton statt. In mehreren Städten der Schweiz wird der bedeutende und vielseitige Maler, Grafiker, Illustrator, Bildhauer sowie Kunstkritiker und Schriftsteller geehrt: im Musée Jenisch Vevey, im Kunst Museum Winterthur, im Musée cantonal des Beaux-Arts in Lausanne sowie im Museo Castello San Materno in Ascona.
Die Ausstellung in Ascona, die sich über die beiden Räumen im Erdgeschoss sowie zwei weitere im 1. Stock erstreckt, stellt anhand von ausgesuchten Gemälden, Zeichnungen und grafischen Zyklen das vielfältige Schaffen des künstlerischen Einzelgängers vor, der stets unbeirrt seinen Weg ging. Im Mittelpunkt der Präsentation stehen Landschaften, Stillleben und Aktdarstellungen. Dank großzügiger Leihgaben aus einer bedeutenden Schweizer Privatsammlung – seit längerer Zeit nicht mehr öffentlich gezeigt – können exemplarische Werke aus den Jugendjahren (1880–92), der Nabis-Periode (1893–1900), der Übergangsphase (1901–08) sowie der Zeit seiner Reife (1909–25) eindrucksvoll vorgestellt werden.
Wie kein anderer beherrschte Vallotton den Holzschnitt. Seine Meisterschaft in dieser grafischen Technik wird durch beispielhafte Zyklen herausgestellt, darunter die Bergserie (1892), Paris intense (1893/94), Intimités (1897/98), L’Exposition universelle (1900/01) und C’est la Guerre (1915/16).
Einzelne ausgesuchte Leihgaben aus dem Kunst Museum Winterthur ergänzen die Ausstellung und runden sie ab.
Félix Vallottons Werk zeichnet sich durch eine kühle Strenge, eine distanzierte Sachlichkeit und präzise Beobachtung der Lebensrealität aus. Zugleich gelang es dem Künstler, mit seinem Schaffen der Schönheit ein Denkmal zu setzen. „Wer Augen hat zu sehen, der sehe“, so Alexander Kanoldt, deutscher Vertreter der Neuen Sachlichkeit, voller Anerkennung für das Schaffen seines Vorgängers.
Zu Leben und Werk von Félix Vallotton
Félix Vallotton wird 1865 in Lausanne geboren. Schon in der Schulzeit zeigt sich sein zeichnerisches Talent, was ihn mit 16 Jahren dazu ermutigt, nach Paris zu gehen und an der privaten Kunstschule Académie Julian zu studieren. Während dieser Zeit freundet er sich mit seinem Lehrer Charles Maurin (1856–1914) und seinem Kommilitonen Félix Jasinski (1862–1901) an, die ihn in die Handhabung der grafischen Techniken einführen. Um sein finanzielles Auskommen zu sichern, malt Vallotton Porträts von Verwandten und Freunden, verfasst Kunst- und Ausstellungskritiken, ist als Restaurator tätig und fertigt Reproduktionsgrafiken nach Gemälden an.
1892 schließt er sich der Künstlergruppe Les Nabis (deutsch: Propheten, Erleuchtete) an und nimmt ab 1893 an deren Ausstellungen teil. Mitglieder sind unter anderem Pierre Bonnard (1867–1947), Maurice Denis (1870–1943) und Paul Sérusier (1864–1927). Ihr Ziel ist es nicht, die Welt naturgetreu abzubilden, sondern diese vielmehr durch dekorative und flächige Formen künstlerisch zu transformieren. Der zurückhaltende und wortkarge Félix Vallotton erhält von den Künstlerkollegen den Namen Le Nabi étranger (Der fremde Nabi).
Bis 1900 verbringt Vallotton den Sommer regelmäßig bei seiner Familie in der Schweiz. Während dieser Aufenthalte entstehen einige Landschaftsgemälde mit Ansichten des Genfersees, die noch unter dem Einfluss der Schweizer Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts stehen.
In der Grafik setzt der Künstler ab 1887 erste Motive nach eigenen Ideen um. Während sein Interesse anfangs der Radierung gilt, wendet er sich ab 1891 dem Holzschnitt zu. Innerhalb kurzer Zeit entwickelt Vallotton hierbei – beeinflusst vom japanischen Holzschnitt – seine ganz eigene Ausdrucksform, die von einem innovativen Umgang mit der Linie sowie dem ebenso souveränen wie ungewöhnlichen Einsatz von Fläche und Schwarz-Weiß-Kontrasten geprägt ist. Er erhält zahlreiche Aufträge, arbeitet für verschiedene Kunst-, Literatur- und Satirezeitschriften, illustriert Bücher, entwirft Plakate und Theaterprogramme. Parallel dazu fertigt er bedeutende Einzelgrafiken und wegweisende Zyklen an. In ihnen setzt er sich vielfach kritisch mit den Machtverhältnissen, den Beziehungen zwischen den Geschlechtern und der Gesellschaft auseinander. Schon zu Lebzeiten wird der Künstler als der große Erneurer des Holzschnitts gepriesen. „Vallotton hat aus dem Holzschnitt so viel gemacht“, konstatiert der deutsche Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe (1867–1935) 1898, „dass er getrost auf den Ehrgeiz verzichten könnte, auch als Maler zu zählen […]. Denn malerischer als seine Bilder, farbenreicher als die Werke viel berühmterer ,Maler‘ sind diese Holzschnitte in Schwarz-Weiss.“
Während seiner großen Erfolge als Illustrator und Grafiker tritt Vallottons Auseinandersetzung mit der Malerei vorübergehend in den Hintergrund. Doch nach der Hochzeit mit der verwitweten und vermögenden Gabrielle Rodrigues-Henriques (1863–1932) im Jahr 1899, die aus der einflussreichen Pariser Kunsthändlerfamilie Bernheim-Jeune stammt, wendet er sich der Ölmalerei wieder verstärkt zu.
Mit seinen Interieur-Darstellungen greift er ein bevorzugtes Sujet der Nabis auf und setzt diese erstmals in der Holzschnittserie Intimités (Innigkeit) um, die im 1. Stock ausgestellt ist.
Der Aktmalerei – besonders dem weiblichen Akt – wendet er sich 1904 erneut, wie schon in früheren Jahren, mit großem Interesse zu. Die dargestellten Frauenfiguren entsprechen nicht dem klassischen Schönheitsideal, sie wirken vielmehr unnahbar und streng, zeichnen sich durch eine ambivalente Spannung zwischen Schönheit und Sprödigkeit, Anziehung und Distanz aus.
Darüber hinaus gehört auch die Landschaftsmalerei zu seinen bevorzugten Genres. Neue Motive findet er auf seinen zahlreichen Reisen unter anderem in Frankreich und Italien. In den 1890er- Jahren, beeinflusst von den Nabis, entwickelt er stilisierte Landschaften, die er nun als paysages décoratifs bezeichnet. Ab 1900 beginnt er mit der Erkundung seines städtischen Umfelds in Paris. Besonders bemerkenswert sind die ungewöhnlichen Perspektiven, die er einsetzt, um die Stadtlandschaften darzustellen. Die paysages composés, die ab 1909 entstehen, sind von einer streng komponierten Anordnung der Elemente geprägt. Vorbereitet werden sie durch kleine, vor dem Motiv gezeichnete Skizzen. Im Atelier entstehen aus dem Gedächtnis Gemälde, die, so Vallotton „von allem ganz Naturgetreuen befreit“ sind und eine „Rückkehr zur bekannten historischen Landschaftsmalerei“ darstellen.
Erst in späteren Jahren entdeckt Félix Vallotton die Gattung des Stilllebens für sich. Es geht ihm nicht um symbolische oder allegorische Überhöhung, sondern um eine nüchterne Beobachtung der darzustellenden Gegenstände in ihrer vielfältigen Stofflichkeit und Textur. „Zunehmend finde ich an der Aufgabe, die ich früher noch als kindisch abgetan hätte, das raffinierteste Vergnügen“, hält der Künstler im August 1919 in seinem Tagebuch fest.
„Mehr denn je amüsiert mich die Dingwelt; die Vollendung eines Eies, die Weichheit einer Tomate, das Geschmiedete einer Hortensie liefern genügend Probleme, die ihrer Lösung harren.“
Félix Vallotton hinterließ ein umfangreiches OEuvre. Er schuf mehr als 230 Grafiken, hunderte von Zeichnungen und rund 1700 Gemälde.
Harald Fiebig
Kurator der Ausstellung
Samstag, den 10. Mai, um 17.00 Uhr
Félix Vallotton | Femme aux coussins (Weiblicher Akt auf Kissen) | 1897 | Öl auf Karton | 23,1 × 41 cm | Privatsammlung, Schweiz | Foto Peter Schälchli
Félix Vallotton | Paysage aux baigneuses (Landschaft mit Badenden) | 1913 | Öl auf Leinwand | 87,5 × 113,5 cm | Kunst Museum Winterthur, Ankauf mit Bundessubventionen, 1914
Félix Vallotton | Bords du Léman (Am Ufer des Genfersees) | um 1892 | Öl auf Leinwand | 37 × 46 cm | Privatsammlung, Schweiz | Foto Peter Schälchli
Félix Vallotton | Chalands, canal de l’Ourcq (Lastkähne auf dem Ourcq-Kanal) | 1903 | Öl auf Karton | 39 × 49 cm | Privatsammlung, Schweiz | Foto Peter Schälchli
Félix Vallotton | Cruche et pommes (Krug und Äpfel) | 1924 | Öl auf Leinwand | 54 × 65 cm | Privatsammlung, Schweiz | Foto Peter Schälchli
Félix Vallotton | Jonquilles et anémones rouges (Narzissen und rote Anemonen) | 1924 | Tempera auf Karton | 35,5 × 24,5 cm | Privatsammlung, Schweiz | Foto Peter Schälchli
Félix Vallotton | Le mensonge (Die Lüge) | 1897 | Intimités (Innigkeit) | Holzschnitt auf Papier | 125 18 × 22,5 cm | Privatsammlung, Schweiz | Foto Peter Schälchli
Félix Vallotton | La Dent de Broc (Die Dent de Broc) | 1905 | Tusche (Pinsel) auf Papier | 16,7 × 24,3 cm | Privatsammlung, Schweiz | Collezione privata, Svizzera | Foto Peter Schälchli
Félix Vallotton | Mont-Blanc | 1892 | Holzschnitt auf Papier | 14,3 × 25,4 cm | Privatsammlung, Schweiz | Foto Peter Schälchli
Samstag, den 31. Mai 2025, um 10.30 Uhr, Museo Castello San Materno, Ascona
Die Führung findet in deutscher Sprache statt.
Die Führung ist für alle AAMA-Mitglieder kostenlos, während Nicht-Mitglieder gebeten werden, den Eintrittspreis zu bezahlen.
Die Anmeldung ist bis Donnerstag, 29. Mai, erforderlich. Die Führung findet mit mindestens 10 Teilnehmern statt; die Teilnehmerzahl ist auf maximal 20 Personen beschränkt: [email protected]; Tel. 091 759 81 40.
AAMA